Rezension Thomas Nehlert: Porsche – Vom Konstruktionsbüro zur Weltmarke Wolfram Pyta, Nils Havemann, Jutta Braun; Siedler Verlag München, 2017

Es gibt inzwischen weit über 1000 Bücher zum Thema „Porsche“, und auch die Lebensgeschichte des Firmengründers Ferdinand Porsche war schon Gegenstand mehrerer Biografien. Dieses Buch macht zwar die bisher erschienenen Beschreibungen zu Ferdinand Porsche nicht überflüssig, indes stellt es sie so ziemlich alle in den Schatten. 

Die Porsche-Literatur ist fast ausnahmslos von Autoren verfasst, die Automobil-Enthusiasten sind, die zumeist auch Porsche-Fans sind, die den 911 und auch den 356 als Ikonen der Automobilgeschichte bewundern. Dieser Ausgangspunkt zahlreicher Bücher über Ferdinand Porsche und sein Unternehmen geht in Ordnung, begründet aber die Gefahr, sich zuweilen den Blick für die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen technischer Entwicklungen zu verstellen. 

Es ist deshalb schon per se ein Gewinn, wenn sich ein namhafter Historiker des Lebenswerks Ferdinand Porsches annimmt. Wolfram Pyta ist an der Universität Stuttgart als Leiter der Abteilung für Neuere Geschichte tätig und leitet auch die Forschungsstelle Ludwigsburg zur NS-Verbrechensgeschichte. Seine Koautoren Nils Havemann und Jutta Braun arbeiten ebenfalls als promovierte Historiker. 

Das bisher eindrucksvollste Buch über Ferdinand Porsche ist der gewaltige Band „Genesis des Genies“ von Karl Ludvigsen, in deutscher Sprache bei Delius Klasing verlegt. Allerdings behandelt dieses Werk nur die frühe Zeit Porsches bis zur Gründung des eigenen Unternehmens zum Jahresende 1930. Das Buch von Wolfram Pyta setzt zu diesem Zeitpunkt ein. Es beschreibt die Geschichte Porsches von der Gründung der „Dr.Ing.h.c.F.Porsche GmbH“ bis zu Ferdinand Porsches Tod im Januar 1951. 

In den ersten beiden Jahren der GmbH Anfang der 1930er Jahre hatte Porsche erhebliche Schwierigkeiten, sein Unternehmen über Wasser zu halten. Die Wende trat mit dem Vertragsabschluss mit der Auto Union über den Bau eines Grand-Prix-Rennwagens ein. Die ersten drei der insgesamt 14 Kapitel des Buchs befassen sich mit diesem Zeitabschnitt. Es schließen sich die Darstellung der geschäftlichen Entwicklung von 1933 bis 1939 und der Zusammenarbeit mit Daimler-Benz an, bevor es um die Entstehung des Volkswagens als einem zentralen Thema des Buchs geht. Eine wesentliche Rolle spielen auch die Umformung der Gesellschaft in ein reines Familienunternehmen sowie die strategische Erweiterung dieses Unternehmens zu einem Entwicklungsbetrieb. Schließlich bleiben auch die Kreationen Porsches auf militärischem Gebiet und im Bereich der Landwirtschaft nicht unberücksichtigt, bevor Porsches Verhältnis zur Politik und die Entwicklungen nach 1945 ausführlich beleuchtet werden. Den Abschluss des Buchs bilden eine Beschreibung der von Ferry Porsche realisierten Entwicklung des Sportwagens, der als erstes Fahrzeug auch den Namen „Porsche“ trug, und ein Resümee und Ausblick. 

Dieser Band ist kein Auto-Buch im herkömmlichen Sinne; es ist eine wissenschaftliche Aufarbeitung der wesentlichen Lebensepoche Ferdinand Porsches und zugleich eine hoch interessante Wiedergabe der Entwicklung der Automobilwirtschaft unter den Rahmenbedingungen des Dritten Reichs. Das Buch enthält außer je einem kleinen Schwarzweiß-Foto jeweils am Beginn jedes Kapitels keine Illustration. Umso mehr haben sich die Autoren in das Thema vertieft, und zwar in einer Weise, die mehrfachen Respekt verdient. Es wurden rund 500 Quellen ausgewertet, die schließlich auch in 1220 Fußnoten ihren Niederschlag finden. So ist jede in dem Buch gemachte Aussage belegt und wissenschaftlich untermauert. Hier ist sicher auch dem Historischen Archiv des PorscheWerks zu danken, dass es die Arbeit von Wolfram Pyta und seines Teams durch Offenlegung aller verfügbaren Quellen tatkräftig unterstützt hat. Die Autoren zeigen jedoch nicht nur auf der historisch-wissenschaftlichen Seite ihre berufsbedingt hohe Kompetenz, sondern auch dann, wenn es um die technischen Gesichtspunkte und die Fahrzeugentwicklung geht. Sie haben sich erkennbar tief in die technische Materie eingearbeitet und verstehen es, technische Zusammenhänge ebenso nachvollziehbar darzustellen wie zeitgeschichtliche Entwicklungen.

Natürlich ist die sich immer wieder stellende Frage nach Porsches Verhältnis zum Nationalsozialismus ein bedeutsames Thema des Buchs, insbesondere auch unter Berücksichtigung der staatlich geförderten Entwicklung des Volkswagens. Hier wird eine sehr sachliche, fundierte und differenzierte Darstellung des Geschehens gegeben, die durch unzählige Zitate und Fundstellen belegt wird. Die Genialität und der Erfindergeist Porsches erfahren große Anerkennung, sein Verhalten der Politik gegenüber wird realistisch und kritisch gewürdigt, ohne ihn zu diskreditieren. Sicherlich wird dem Leser ein Schreiben Porsches an die politische Führung aufstoßen, in dem er nachhaltig um die Förderung des Rennwagenprojekts der Auto Union ersucht. Opportunismus und taktisches Geschick waren Ferdinand Porsche bei der Umsetzung seiner Ideen nicht fremd; eine inhaltliche Übereinstimmung mit den Zielen nationalsozialistischer Politik hingegen lässt sich nach den dem Buch zugrunde liegenden Quellen nicht belegen. Im übrigen werden auch so heikle Themen wie die beim Aufbau der Produktionsstätten in Wolfsburg eingesetzten Zwangsarbeiter und die im Nachkriegsdeutschland für Porsche positiv verlaufene Entnazifizierung nicht ausgelassen. 

Nicht minder interessant ist die Darstellung des Taktierens Porsches und seiner Familienmitglieder im Bemühen, das Unternehmen trotz mehrfacher Anschubfinanzierung von außen zu einer reinen Familienangelegenheit zu machen. Das zuweilen notwendige aber nicht einfache Zusammenwirken der Zweige Piech und Porsche wird beeindruckend herausgearbeitet. Die bis heute andauernde Unterschiedlichkeit dieser beiden Familien war schon sehr früh erkennbar und findet auch in historischen Vorgängen nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus' ihren Niederschlag. Das liest sich sehr spannend und lässt die Leistungen eines Ferry Porsche, für den es bestimmt nicht leicht war, sich vom Einfluss des mitunter sehr bestimmenden Vaters zu lösen, in einem besonderen Licht erscheinen. In diesem Zusammenhang kann Ferrys Wirken während des Aufenthalts Ferdinand Porsches in französischer Gefangenschaft und bei der Entwicklung des 356 gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. 

Am Endes des Buchs fassen die Autoren ihre analytischen Feststellungen in einem Resümee zusammen. Die drei Schwerpunkte liegen dabei auf dem Zusammenwirken von Wirtschaft und Politik, auf dem Strukturwandel eines Familienunternehmens und auf der Bewertung der Porsche-Fahrzeuge als Edelprodukte, die beim Interessenten eine besondere Begehrlichkeit auslösen.

Das Buch liest sich aufgrund seines klaren und flüssigen Stils ausgezeichnet und macht es dem Leser leicht, die zuweilen komplexen Vorgänge nachzuvollziehen. Nach der Lektüre dieses zweifellos überaus gelungenen wissenschaftlichen Werks ist es sehr reizvoll, noch einmal in dem Buch „Die Porsche Saga“ von Stefan Aust und Thomas Amman zu schmökern, das die Geschichte der Familie Porsche bis in die Gegenwart mit den Auseinandersetzungen zwischen Wolfgang Porsche und Wendelin Wiedeking auf der einen und Ferdinand Piech auf der anderen Seite und der dann erfolgten Übernahme durch den VW-Konzern beschreibt. Wer sich für die Entwicklung des Unternehmens Porsche aus der „Innen-Wahrnehmung“ von Ferry Porsche interessiert, dem seien ergänzend dessen im Zusammenwirken mit John Bentley bzw. Günther Molter verfassten Autobiographien empfohlen. 


Porsche – Vom Konstruktionsbüro zur Weltmarke

Autoren: Wolfram Pyta, Nils Havemann, Jutta Braun 
Verlag: Siedler Verlag München, 2017
Format und Umfang: Hardcover, 15,5 x 23 cm, 506 Seiten, 14 Schwarzweißfotos 
Text: Deutsch Preis: € 28,-- 
ISBN: 978-3-8275-0100-4 

Überall im Buchhandel erhältlich

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