Rezension Thomas Nehlert „Works Porsche 956 – The Definitive History“ - Autor: Serge Vanbockryck, Ultimate Series, Porter Press International, GB, 2019



Bei der Frage nach Porsches bekanntestem und legendärstem Rennwagen fällt einem zumeist erst einmal der Porsche 917 ein, der die Sportwagen-Weltmeisterschaft 1970 und 1971 dominierte und in der Turbo-Version anschließend die Konkurrenten in der CanAm Series das Fürchten lehrte. Aber tatsächlich gibt es eine Prototypen-Baureihe von Porsche, der einer sehr viel längeren Epoche ihren Stempel aufdrückte und die ohne Übertreibung als das erfolgreichste Fahrzeug in der Geschichte der Sportwagen-Rennen anzusehen ist – der Porsche 956 und der von ihm abgeleitete Porsche 962. Ist der Typ 917 in der Motor-Literatur mehr als ausreichend dokumentiert, so fehlt zum 956/962 trotz bereits mehrerer Publikationen bisher eine wirklich umfassende Beschreibung der Entwicklung und Rennhistorie. Diese Lücke dürfte mit dem opulenten Werk von Serge Vanbockryck nun für den 956 geschlossen sein. Allerdings bilden die beiden Bände aus dem Premium-Verlag Porter Press International nur den Anfang: noch 2020 soll ein vergleichbares zweibändiges Werk über den Porsche 962 folgen. Vanbockryck betitelt seine Bücher zutreffend als Darstellung der Entwicklung und der Renneinsätze der Werkswagen von Porsche; auf diesen liegt auch zweifellos der Schwerpunkt der Bände, aber tatsächlich werden auch die Aktivitäten der zahlreichen Kundenteams mit dem Porsche 956 gewürdigt.

Die beiden Bände sind in insgesamt neun Abschnitte mit 54 Kapiteln gegliedert. Nach einem Vorwort von Jürgen Barth erfolgt auf den ersten 130 Seiten in vier Kapiteln eine chronologische Beschreibung der Porsche-Motorsportgeschichte bis zum Jahr 1981. Schon hier wird deutlich, mit welcher Gründlichkeit der Autor recherchiert hat. Sowohl die technische Entwicklung als auch die von Porsche bestrittenen Rennen werden dokumentiert. Am Ende jedes Kapitels belegt Vanbockryck seine Erkenntnisse und Zitate mit der Angabe unzähliger Fundstellen. Richtigerweise erfolgt eine Beschränkung auf den Motorsport mit GT-Fahrzeugen, Sportwagen und Prototypen. Porsches Versuche in der Formel 2 und Formel 1 werden nur am Rande in Form einer Bildunterschrift gestreift.

Was im zweiten Abschnitt über drei Kapitel folgt, hat es in dieser Form in der PorscheLiteratur noch nicht gegeben. Die Entstehung des Porsche 956 wird in allen Entwicklungsschritten derartig detailliert beschrieben, dass sich der Leser wirklich viel Zeit gönnen sollte, um diese faszinierende Geschichte nachzuvollziehen. Das beginnt mit einer hervorragenden Analyse des Reglements der Gruppe C und der auf Grundlage dieses Regelwerks entstandenen Rennfahrzeuge auch außerhalb der Aktivitäten von Porsche. Der wesentliche Part dieses Abschnitts ist jedoch die Darstellung des Projekts 956 von der ersten Überlegung, über die Zeichnungen und Windkanalversuche am 1:5-Modell, die Erstellung erster Formen bis zur Umsetzung des Konzepts zu dem damals modernsten Rennsportwagen seiner Zeit. In nicht einmal einem Jahr war der 956 rennfertig, und Serge Vanbockryck hat jeden Schritt dorthin nachvollzogen – in ausführlicher Beschreibung und unter Zugrundelegung und fotografischer Reproduktion der einzelnen Modellformen, der aerodynamisch ausgefeilten Bodenstruktur des Ground Effect Fahrzeugs, zahlreicher Testprotokolle von den Testfahrten in Weissach und Le Castellet. Der 956 war nicht nur Porsches erster Ground-Effect-Rennwagen, sondern zugleich auch die erste MonocoqueKonstruktion des Zuffenhausener Unternehmens, in die in verschiedenen Bereichen neue Überlegungen und technische Lösungen einflossen. Die ingeniöse Leistung von Peter Falk, Horst Reitter, Eugen Kolb, Valentin Schäffer und vor allem Norbert Singer kann bis heute gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Beschreibung der Entstehung des 956 gewinnt auch dadurch besondere Authentizität, dass der Autor zahlreiche der Protagonisten zu Wort kommen lässt wie zum Beispiel Norbert Singer oder auch Jürgen Barth, der neben seiner Renn- und Versuchsfahrertätigkeit auch für den Kundensport verantwortlich war. Ein eigenes Kapitel widmet sich der Anfang der 1980er Jahre neu strukturierten und ausgebauten Rennabteilung von Porsche und der besonderen Bedeutung des Entwicklungszentrums mit angegliederter Teststrecke in Weissach. So bleibt wirklich kein Aspekt der Entstehung des 956 unberücksichtigt.

Die beiden folgenden großen Abschnitte haben die Renneinsätze des Porsche 956 in den Jahren 1982 und 1983 zum Gegenstand. Jedes einzelne Rennen, in dem die Werkswagen am Start waren, wird ausführlich beschrieben, wobei nicht nur auf den Rennverlauf eingegangen wird, sondern auch auf die jeweilige technische Weiterentwicklung des 956 und die Vorbereitung der Rennen. Da der Autor dafür nicht nur alle ihm im Werksarchiv zur Verfügung stehenden Quellen gesichtet und ausgewertet hat, sondern diese zum großen Teil in Ablichtungen reproduziert, erhält der Betrachter hier einen Einblick in die Fortschreibung einer Rennwagenentwicklung, wie er jedenfalls für einen Gruppe-CRennwagen bisher noch nicht möglich war. Es ginge zu weit, hier all die Konstruktionsdetails aufzuführen, die einer Betrachtung unterzogen werden; nur beispielhaft seien aber Elemente der Motorsteuerung, der Felgenkonstruktion, der Bremsen und ganz besonders der Aerodynamik erwähnt. Die Kapitel, die jedes Rennen für sich darstellen, schließen mit einer Ergebnistabelle ab.

 Der zweite Band beginnt mit einer vergleichbaren Dokumentation der Rennsaisons 1984 und 1985. Bemerkenswert ist – wie auch bei den Berichten zuvor – , dass zunächst auf die immer wieder geänderten Rahmenbedingungen des Reglements eingegangen wird. Da auch im Hinblick auf die amerikanische Sportwagenserie der IMSA Anpassungen des Regelwerks erfolgten, wurden die teilnehmenden Werke Jahr für Jahr vor neue Herausforderungen gestellt. Nicht zuletzt dieses teilweise sinnfreie Herumdoktern an den Regeln veranlasste Porsche 1984, dem Rennen in Le Mans werksseitig fernzubleiben. Deshalb findet sich in dem Buch, das die Werksaktivitäten mit dem 956 in den Mittelpunkt stellt, kein eigenes Kapitel über die 24 Stunden von Le Mans 1984, die das PorscheKundenteam Joest für sich entscheiden konnte.

Die Berichterstattung über die Rennen 1985 erscheint einem zunächst etwas knapp. Dies findet seine einfache und auch konsequente Erklärung darin, dass Porsche 1985 bereits mit dem Typ 962 als Nachfolger des 956 antrat. So werden die Läufe mit dem 956 genau dokumentiert, die Aktivitäten mit dem 962 aber wie auch die der Kundenteams nur kursorisch behandelt. Denn eine bis ins Detail gehende Aufarbeitung der Rennen mit dem 962 erfolgt in den mittelfristig zu erwartenden Büchern gleichen Formats über den 962. Am großen Erfolg des Porsche 956 waren nicht nur Porsches Ingenieure beteiligt, sondern auch zahlreiche bekannte Rennfahrer. Unter dem Kapitel-Titel „The People“ präsentiert der Autor deshalb sehr ausführliche Biografien nicht nur von Norbert Singer als führendem Ingenieur des Projekts und Roland Kussmaul als Renningenieur und Versuchsfahrer, sondern auch von elf Rennfahrern, die sich auf den Werkswagen von Porsche verdingt hatten.Das reicht von Jacky Ickx, Derek Bell, Jochen Mass und Hans-Joachim Stuck über Vern Schuppan, Stefan Bellof, Al Holbert, Jürgen Barth und Huley Haywood bis zu John Watson und Henri Toivonen. In diesem Zusammenhang ist es für den Autor selbstverständlich, dass er nicht nur die Einsätze der Piloten für Porsche würdigt, sondern im Text auf deren vollständige Karrieren eingeht. Jedes Fahrer-Kapitel schließt mit einer Statistik derer Rennen für Porsche.

Ein besonderer „Leckerbissen“ ist das 95seitige Kapitel, in dem alle gebauten 956 Chassis für Chassis mit ihrer Entwicklungs- und Rennhistorie aufgelistet sind. Keine Testfahrt, keine technische Veränderung, kein Rennen werden in dieser gewaltigen Statistik vergessen. Man kann sich kaum vorstellen, mit welchem Arbeitsaufwand und natürlich auch Begeisterung die Auswertung der für dieses Tabellenwerk erforderlichen Unterlagen im Werksarchiv von Porsche verbunden ist.

Der neunte Teil des zweibändigen Werks beleuchtet die Sponsor-Partnerschaft Porsches mit der Tabakmarke Rothmans und deren zusätzliche imageträchtige Umsetzung bei der filmischen Dokumentation der Werkseinsätze. Eine überaus informative und umfangreiche Bibliografie und ein vollständiger, sehr hilfreicher Index bilden den Abschluss des zweiten Bandes.

Die Texte von Serge Vanbockryck lesen sich – englische Sprachkenntnisse vorausgesetzt – hervorragend; sie sind von höchster Kompetenz, großer Begeisterung und beispielhafter Recherchearbeit geprägt. Die Illustration beider Bände ist grandios. Rund 830 Fotos von vortrefflicher Auswahl und bester Reproduktion auf edlem und schwerem Mattglanzpapier müssen den Leser einfach begeistern. Sie stammen aus vielen namhaften internationalen Archiven, zum großen Teil natürlich aus dem Historischen Archiv von Porsche, das die Erstellung dieser ohne Übertreibung als Grundlagenwerk zu bezeichnenden Publikation erkennbar unterstützt hat. Insbesondere die im Doppelseitenformat gehaltenen Rennaufnahmen sind ein optischer Genuss. Große Faszination geht auch von den Abbildungen aus der Entstehung des 956 aus, derartig zahlreiche technische Details aus der Entwicklung eines Rennwagens bekommt man nur sehr selten zu sehen. Die Bücher sind dem anspruchsvollen Preis entsprechend wunderbar verarbeitet – bestes Papier, eine solide Fadenbindung, ein hochwertiger Leineneinband mit einer um den Buchrücken herumgezogenen Ledereinfassung, das alles in einem festen Leinenschuber zum Schutz dieses kostbaren Lesestoffs.

"Works Porsche 956 – The Definitive History" ist nach einem Band über die Gruppe C Porsche des britischen Teams von John Fitzpatrick die zweite Ausgabe der neuen sehr edel gestalteten „Ultimate Books Series“ von Porter Press International Publishing. Wie bereits erwähnt folgt ein weiteres Opus über den Porsche 962, und in der Planung dieser Reihe sind noch Bücher über den Ferrari 250 GTO und den McLaren F1 GTR. Man kann diesen Veröffentlichungen nur mit Vorfreude entgegensehen.

Thomas Nehlert

Works Porsche 956 – The Definitive History (2 Bände im Schuber) 
Autor: Serge Vanbockryck 
Verlag: Porter Press International, GB, 2019 
Format: 2 Bände Hardcover mit Leineneinband im Leinenschuber, 25 x 35 cm 
Umfang: 800 Seiten, etwa 830 Abbildungen 
Text: Englisch Preis: € 540,- 
ISBN: 978-1-907085-90-1 und 978-1-907085-98-7 
Erhältlich: www.sportfahrer-zentrale.com