Es gibt inzwischen weit über 1000 Bücher zum Thema „Porsche“, und auch die
Lebensgeschichte des Firmengründers Ferdinand Porsche war schon Gegenstand
mehrerer Biografien. Dieses Buch macht zwar die bisher erschienenen Beschreibungen zu
Ferdinand Porsche nicht überflüssig, indes stellt es sie so ziemlich alle in den Schatten.
Die Porsche-Literatur ist fast ausnahmslos von Autoren verfasst, die Automobil-Enthusiasten
sind, die zumeist auch Porsche-Fans sind, die den 911 und auch den 356 als
Ikonen der Automobilgeschichte bewundern. Dieser Ausgangspunkt zahlreicher Bücher
über Ferdinand Porsche und sein Unternehmen geht in Ordnung, begründet aber die
Gefahr, sich zuweilen den Blick für die gesellschaftlichen und politischen
Rahmenbedingungen technischer Entwicklungen zu verstellen.
Es ist deshalb schon per se ein Gewinn, wenn sich ein namhafter Historiker des
Lebenswerks Ferdinand Porsches annimmt. Wolfram Pyta ist an der Universität Stuttgart
als Leiter der Abteilung für Neuere Geschichte tätig und leitet auch die Forschungsstelle
Ludwigsburg zur NS-Verbrechensgeschichte. Seine Koautoren Nils Havemann und Jutta
Braun arbeiten ebenfalls als promovierte Historiker.
Das bisher eindrucksvollste Buch über Ferdinand Porsche ist der gewaltige Band „Genesis
des Genies“ von Karl Ludvigsen, in deutscher Sprache bei Delius Klasing verlegt.
Allerdings behandelt dieses Werk nur die frühe Zeit Porsches bis zur Gründung des
eigenen Unternehmens zum Jahresende 1930. Das Buch von Wolfram Pyta setzt zu
diesem Zeitpunkt ein. Es beschreibt die Geschichte Porsches von der Gründung der
„Dr.Ing.h.c.F.Porsche GmbH“ bis zu Ferdinand Porsches Tod im Januar 1951.
In den ersten beiden Jahren der GmbH Anfang der 1930er Jahre hatte Porsche erhebliche
Schwierigkeiten, sein Unternehmen über Wasser zu halten. Die Wende trat mit dem
Vertragsabschluss mit der Auto Union über den Bau eines Grand-Prix-Rennwagens ein.
Die ersten drei der insgesamt 14 Kapitel des Buchs befassen sich mit diesem
Zeitabschnitt. Es schließen sich die Darstellung der geschäftlichen Entwicklung von 1933
bis 1939 und der Zusammenarbeit mit Daimler-Benz an, bevor es um die Entstehung des
Volkswagens als einem zentralen Thema des Buchs geht. Eine wesentliche Rolle spielen
auch die Umformung der Gesellschaft in ein reines Familienunternehmen sowie die
strategische Erweiterung dieses Unternehmens zu einem Entwicklungsbetrieb. Schließlich
bleiben auch die Kreationen Porsches auf militärischem Gebiet und im Bereich der
Landwirtschaft nicht unberücksichtigt, bevor Porsches Verhältnis zur Politik und die
Entwicklungen nach 1945 ausführlich beleuchtet werden. Den Abschluss des Buchs bilden
eine Beschreibung der von Ferry Porsche realisierten Entwicklung des Sportwagens, der
als erstes Fahrzeug auch den Namen „Porsche“ trug, und ein Resümee und Ausblick.
Dieser Band ist kein Auto-Buch im herkömmlichen Sinne; es ist eine wissenschaftliche
Aufarbeitung der wesentlichen Lebensepoche Ferdinand Porsches und zugleich eine hoch
interessante Wiedergabe der Entwicklung der Automobilwirtschaft unter den
Rahmenbedingungen des Dritten Reichs. Das Buch enthält außer je einem kleinen
Schwarzweiß-Foto jeweils am Beginn jedes Kapitels keine Illustration. Umso mehr haben
sich die Autoren in das Thema vertieft, und zwar in einer Weise, die mehrfachen Respekt
verdient. Es wurden rund 500 Quellen ausgewertet, die schließlich auch in 1220 Fußnoten
ihren Niederschlag finden. So ist jede in dem Buch gemachte Aussage belegt und
wissenschaftlich untermauert. Hier ist sicher auch dem Historischen Archiv des PorscheWerks
zu danken, dass es die Arbeit von Wolfram Pyta und seines Teams durch
Offenlegung aller verfügbaren Quellen tatkräftig unterstützt hat. Die Autoren zeigen jedoch
nicht nur auf der historisch-wissenschaftlichen Seite ihre berufsbedingt hohe Kompetenz,
sondern auch dann, wenn es um die technischen Gesichtspunkte und die
Fahrzeugentwicklung geht. Sie haben sich erkennbar tief in die technische Materie
eingearbeitet und verstehen es, technische Zusammenhänge ebenso nachvollziehbar
darzustellen wie zeitgeschichtliche Entwicklungen.
Natürlich ist die sich immer wieder stellende Frage nach Porsches Verhältnis zum
Nationalsozialismus ein bedeutsames Thema des Buchs, insbesondere auch unter
Berücksichtigung der staatlich geförderten Entwicklung des Volkswagens. Hier wird eine
sehr sachliche, fundierte und differenzierte Darstellung des Geschehens gegeben, die
durch unzählige Zitate und Fundstellen belegt wird. Die Genialität und der Erfindergeist
Porsches erfahren große Anerkennung, sein Verhalten der Politik gegenüber wird
realistisch und kritisch gewürdigt, ohne ihn zu diskreditieren. Sicherlich wird dem Leser ein
Schreiben Porsches an die politische Führung aufstoßen, in dem er nachhaltig um die
Förderung des Rennwagenprojekts der Auto Union ersucht. Opportunismus und taktisches
Geschick waren Ferdinand Porsche bei der Umsetzung seiner Ideen nicht fremd; eine
inhaltliche Übereinstimmung mit den Zielen nationalsozialistischer Politik hingegen lässt
sich nach den dem Buch zugrunde liegenden Quellen nicht belegen. Im übrigen werden
auch so heikle Themen wie die beim Aufbau der Produktionsstätten in Wolfsburg
eingesetzten Zwangsarbeiter und die im Nachkriegsdeutschland für Porsche positiv
verlaufene Entnazifizierung nicht ausgelassen.
Nicht minder interessant ist die Darstellung des Taktierens Porsches und seiner
Familienmitglieder im Bemühen, das Unternehmen trotz mehrfacher Anschubfinanzierung
von außen zu einer reinen Familienangelegenheit zu machen. Das zuweilen notwendige
aber nicht einfache Zusammenwirken der Zweige Piech und Porsche wird beeindruckend
herausgearbeitet. Die bis heute andauernde Unterschiedlichkeit dieser beiden Familien
war schon sehr früh erkennbar und findet auch in historischen Vorgängen nach dem
Zusammenbruch des Nationalsozialismus' ihren Niederschlag. Das liest sich sehr
spannend und lässt die Leistungen eines Ferry Porsche, für den es bestimmt nicht leicht
war, sich vom Einfluss des mitunter sehr bestimmenden Vaters zu lösen, in einem
besonderen Licht erscheinen. In diesem Zusammenhang kann Ferrys Wirken während
des Aufenthalts Ferdinand Porsches in französischer Gefangenschaft und bei der
Entwicklung des 356 gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Am Endes des Buchs fassen die Autoren ihre analytischen Feststellungen in einem
Resümee zusammen. Die drei Schwerpunkte liegen dabei auf dem Zusammenwirken von
Wirtschaft und Politik, auf dem Strukturwandel eines Familienunternehmens und auf der
Bewertung der Porsche-Fahrzeuge als Edelprodukte, die beim Interessenten eine
besondere Begehrlichkeit auslösen.
Das Buch liest sich aufgrund seines klaren und flüssigen Stils ausgezeichnet und macht
es dem Leser leicht, die zuweilen komplexen Vorgänge nachzuvollziehen. Nach der
Lektüre dieses zweifellos überaus gelungenen wissenschaftlichen Werks ist es sehr
reizvoll, noch einmal in dem Buch „Die Porsche Saga“ von Stefan Aust und Thomas
Amman zu schmökern, das die Geschichte der Familie Porsche bis in die Gegenwart mit
den Auseinandersetzungen zwischen Wolfgang Porsche und Wendelin Wiedeking auf der
einen und Ferdinand Piech auf der anderen Seite und der dann erfolgten Übernahme
durch den VW-Konzern beschreibt. Wer sich für die Entwicklung des Unternehmens
Porsche aus der „Innen-Wahrnehmung“ von Ferry Porsche interessiert, dem seien
ergänzend dessen im Zusammenwirken mit John Bentley bzw. Günther Molter verfassten
Autobiographien empfohlen.
Porsche – Vom Konstruktionsbüro zur Weltmarke
Autoren: Wolfram Pyta, Nils Havemann, Jutta Braun
Verlag: Siedler Verlag München, 2017
Format und Umfang: Hardcover, 15,5 x 23 cm, 506 Seiten, 14 Schwarzweißfotos
Text: Deutsch
Preis: € 28,--
ISBN: 978-3-8275-0100-4
Überall im Buchhandel erhältlich
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