Rezension Thomas Nehlert: „Jochen Rindt – Ikone mit verborgenen Tiefen “, Autor Dr.Erich Glavitza, McKlein Publishing Köln, 2020


Am 5. September 2020 jährt sich der Todestag Jochen Rindts zum 50. Mal. Aus diesem Anlass hat McKlein Publishing in Köln eine gewaltige Biografie über den legendären Rennfahrer herausgebracht. Es gibt über Rindt bereits einige Bücher, aber dieser Band stellt die bisherige Literatur zu dem Thema weit in den Schatten. 

Der gewichtige und im quadratischen Großformat gehaltene Band ist bestens verarbeitet und durch einen attraktiven Schuber geschützt. Das Layout ist durchgehend brillant und verleiht der Biografie einen besonderen optischen Reiz. Mit über 400 teilweise ganzseitigen Fotos bester Auswahl und hervorragender Reproduktion ist das Buch in jeder Hinsicht erstklassig illustriert. 

Die Ablichtungen zeigen nicht nur den faszinierenden Rennsport der 1960er Jahre, sondern auch - dem Thema angemessen - Jochen Rindt in allen Lebenslagen sowohl bei den Rennen als auch im Privaten. Natürlich liegt der Schwerpunkt auf den Formel 1- Rennen bis zum Jahr 1970, aber auch Rindts Einsätze in der Formel 2, bei den Tourenwagen und besonders auch bei den Sportwagen und Prototypen sind dokumentiert. Die Aufnahmen stammen zum überwiegenden Teil aus dem fast unerschöpflichen Archiv von McKlein und aus der internationalen Archiv-Sammlung motorsport images“. Die zweifellos bemerkenswertesten und ungewöhnlichsten Fotografien stellte aber der Halbbruder Jochen Rindts, Dr. Uwe Eisleben, aus dem Familienarchiv zur Verfügung. Auf diese Weise wird ein tiefer Einblick in die Familiengeschichte Rindts sowie die Kindheit und Jugend des Rennfahrers gewährt, wie man ihn in dieser Weise bisher noch nie haben konnte. Hervorgehoben werden muss in diesem Zusammenhang die Wiedergabequalität auch alter Schnappschüsse aus dem Elternhaus von Jochen Rindt und aus der Schulzeit des noch ganz jungen aus Mainz stammenden Jochen. 

Auch die großen Aufnahmen von den Autorennen der 1960er Jahre finden wir hier in einer Qualität, wie sie zur damaligen Zeit nicht üblich war, so dass es allein schon ein Genuss ist, die begeisternde Illustration dieses Bandes zu genießen. 

Aber mindestens genauso überdurchschnittlich wie die Illustration erscheint auch der in deutscher und englischer Sprache verfasste Text dieser Biografie. Wer ist nun dieser Dr. Erich Glavitza, der hier ein Rennfahrerleben auf sehr ungewöhnliche Weise nachgezeichnet hat? Glavitza war in den 1960er Jahren in der internationalen Motorsportszene kein Unbekannter: Rennfahrer, Stuntman, Reporter, Journalist – und dazu hat er noch einen Doktorhut! Er war bei Steve McQueens Film-Epos „Le Mans“ dabei und als Stuntman aktiv, er pflegte Kontakte zu zahlreichen Rennfahrern, die er auch bei ihren unterschiedlichen Abenteuern begleitete. So war er insbesondere im Lager der Österreicher ganz nah dran, ja sogar mittendrin. Und er sog all das Gesehene und Gehörte auf, merkte es sich, schrieb es nieder. Vor ein paar Jahren entstanden so die sehenswerte DVD „Remebering Le Mans“ und ein Buch über seine Erinnerungen mit dem Titel „Vollgas oder Nix!“ Glavitza spricht Klartext, nimmt kein Blatt vor den Mund, trägt durchaus auch mal dick auf. Durch seinen sehr guten Kontakt zu Uwe Eisleben konnte er zahlreiche Geschichten aus der Familie Rindt zusammentragen und seine eigenen Erfahrungen aus den 1960er Jahren erlaubten ihm einen tiefen Blick hinter die Kulissen des Renngeschehens jener Epoche. So erschöpfen sich seine Darstellungen nicht in chronologischen Rennberichten, sondern schildern auch sehr detailliert die Rennmannschaften, für die Rindt fuhr, die Umstände von Erfolgen und Misserfolgen, die Verantwortlichkeiten in den Rennställen und sogar die Hintergründe der nicht immer einfachen Finanzierung des Rennsports. Glavitza versteht es auch, sich durchaus kritisch mit dem österreichischen Motorsport-Journalismus zu Jochen Rindt auseinanderzusetzen, und eröffnet so bisweilen neue Perspektiven auf die Berichterstattung dieser Zeit. Glavitza, selbst Österreicher, ist der Auffassung, dass der in Deutschland geborene Rindt nicht der erste österreichische, sondern der erste deutsche Formel 1-Weltmeister war. Nun, allein wenn man die Sprachfärbung des Weltmeisters von 1970 hört, kann man da auch zu einem anderen Ergebnis kommen. Aber wahrscheinlich ist das heute auch nicht mehr so wichtig. Es ändert nichts an dem Umstand, dass Rindt einer der größten Rennfahrer war. Der Autor bringt seinen Respekt und seine Bewunderung für Rindt zum Ausdruck, porträtiert aber zugleich eine überaus vielschichtige Persönlichkeit von schwierigem Charakter. 

Viele Rennfahrer-Biografien verfallen in die Unsitte, den porträtierten Piloten geradezu einen Heiligenschein aufzusetzen, und liegen damit zuweilen neben der Realität. So etwas gibt es bei Glavitza nicht. Er beschreibt all die Kanten und Ecken, die Ausfälle und Ruppigkeiten von Jochen Rindt recht schonungslos und vermittelt so ein wirklich authentisches Bild von dem Rennfahrer. Er räumt sehr deutlich mit der Vorstellung auf, Rennfahrer seien „gute Menschen“. Er belegt, dass es sich gerade bei den erfolgreichen Piloten um durchaus liebenswerte aber eben doch rücksichtslose Egomanen handelt, die dem eigenen Erfolg alles andere unterordnen. 

Hier schreibt einer, der sich wirklich mit der Psyche des Rennfahrers und den Hintergründen des Motorsports auseinandergesetzt hat. Und er schreibt es so, dass es sich spannend und nachvollziehbar liest. Natürlich kommt dabei die Darstellung der Fakten nicht zu kurz. Die insgesamt 26 Kapitel sind chronologisch geordnet und enthalten sechs reine Bildstrecken zu den jeweiligen Jahren. Das letzte Kapitel stellt eine ausführliche Rennstatistik dar, die den Band perfekt abschließt. 

Neben dieser Chronologie geht Glavitza insbesondere auch auf Rindts Einsätze in den USA und seinen Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans 1965 sowie sein Verhältnis zu seiner späteren Ehefrau Nina ein. Immerhin war Nina Rindt Mitinitiatorin der als JochenRindt-Show gestarteten Essen Motor Show, und Jochens Le-Mans-Sieg war zugleich der bis heute letzte Ferrari-Gesamtsieg bei dem französischen Langstrecken-Klassiker. Selbstverständlich analysiert Glavitza auch den tödlichen Unfall Rindts in Monza am 5. September 1970 – ein Geschehen, das in all seinen Facetten heute unvorstellbar wäre, aber in manchen Bereichen sind wir zum Glück eben doch 50 Jahre weiter. Sehr pointiert und ausgewogen beleuchtet Glavitza nicht nur die damals allgegenwärtige Gefahr bei den Rennen, sondern auch – an sich im Gegensatz dazu stehend – die allgemeine Lockerheit und Ungezwungenheit im Umgang miteinander, mit den Journalisten und den Fans. Diese unangepasste Hemdsärmeligkeit der 1960er und 1970er Jahre ist dem Motorsport nach und nach abhanden gekommen. 

Wer sich für Jochen Rindt und die damalige Formel 1 interessiert, kommt – ganz unabhängig von allen anderen Rindt-Biografien – an diesem Buch nicht vorbei: vom Layout und der Illustration im wahrsten Sinne des Wortes einfach schön, von der Durchdringung des Themas und der inhaltlichen Dichte des Textes mehr als beachtlich! 

Thomas Nehlert


Jochen Rindt – Ikone mit verborgenen Tiefen 
Verlag: McKlein Publishing 
Autor: Dr.Erich Glavitza 
Format: 29 x 29 cm, Hardcover im Schuber 
Seiten: 400 Fotos: über 400 Fotos 
Sprachen: Deutsch und Englisch 
Preis: € 99,90 Vertrieb: RacingWebShop.com 
ISBN: 978-3-947156-26-9

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